FÜR HANDWERKER
02. März 2023
Autor: Lukas Mettler

EIN BAUSTOFFPRODUZENT BLICKT AUF DIE STADT DER ZUKUNFT

Der Weg in die Zukunft ist geprägt von zahlreichen Herausforderungen und rasanten Veränderungen in allen Lebensbereichen. Die Bewältigung des Klimawandels kann jedoch ohne Zweifel als die wichtigste Aufgabe unserer Zeit angesehen werden. Wie die Stadt als unser Lebensraum in der Zukunft tatsächlich aussehen wird, weiß niemand. Doch wer könnte besser wissen, wo die Reise hingeht, als die „Macher“ in der Baubranche. Deshalb sind wir in die sechsteilige Podcast-Serie zur Stadt der Zukunft mit dem Baustoffproduzenten Holcim gegangen – bewusst dahin, wo der Handlungsdruck groß ist. Ausgehend von einer Beschreibung der aktuellen Herausforderungen und den damit verbundenen Folgen blicken wir auf verschiedene Lösungsansätze aus dem Bereich innovative Baustoffe und Technologien bis hin zum Weg in die Kreislaufwirtschaft.

Die aktuelle Situation

Die Debatte um Umwelt und Nachhaltigkeit ist nicht erst seit Greta Thunberg im Gange. Ursache und Folgen der Erderwärmung sind bereits seit Jahrzehnten bekannt. Der aus der Forstwirtschaft stammende Begriff der Nachhaltigkeit ist sogar schon deutlich älter. Auch für Unternehmen ist die Reduktion des CO₂-Ausstoßes kein neues Thema. Doch die Dynamik und die öffentliche Wahrnehmung befinden sich auf einem nie dagewesenen Niveau und sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Bau- und Baustoffindustrie bekommen vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit im Vergleich zu Energie- und Mobilität. Dabei ist die Bauindustrie global für ca. 40 %, die Zementindustrie für ca. 8 % der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Auch wenn Deutschland daran nur einen vergleichsweise kleinen Anteil verursacht, können hiesige Lösungen auf die ganze Welt abstrahlen und Vorbildcharakter haben.

Der erste Schritt

Bei Holcim Deutschland, Tochterunternehmen des weltweit führenden Baustoffproduzenten Holcim Ltd, ist man sich seiner Verantwortung bewusst: CEO Thorsten Hahn stellte sich in der Auftaktfolge unserer Podcast-Serie unseren Fragen und betonte, dass der erste Schritt immer darin liegt, sich selbst bewusst zu machen, in welchem Maße man zum Problem beiträgt. „Jeder Geschäftsführer sollte wissen, wie viel CO₂ seine Firma emittiert.“ Im Falle von Holcim Deutschland sind dies ca. 3,8 Mio. Tonnen. Bevor man vor diesem Hintergrund die Forderung erhebt, auf Baustoffe wie Beton komplett zu verzichten, sollte man sich bewusst machen, dass wir als Gesellschaft die Nachfrager sind. Wir brauchen Brücken und Tunnel, Straßen und Schienen, Gebäude und Abwassersysteme. Auch die Energiewende muss gebaut werden. Weltweit entsteht aufgrund der steigenden Weltbevölkerung jeden Monat eine Stadt von der Größe New Yorks. In dieser Situation auf den am weitesten verbreiteten und vielseitigsten Baustoff Beton zu verzichten, ist schlichtweg unmöglich.

Neben seinen einzigartigen Eigenschaften wird Beton so viel genutzt, weil er günstig und fast überall regional herstellbar ist. Trotzdem gibt es einiges zu optimieren: Beispielsweise sind viele Bauweisen in Deutschland sehr massiv, wenig standardisiert und münden daher in einem zu hohen Pro-Kopf-Verbrauch. Hinzu kommen Transportemissionen, die, aufgrund der gewaltigen Masse, ebenfalls nicht zu unterschätzen sind, obwohl es sich um einen regionalen Baustoff handelt. Bei Holcim beträgt der Anteil der Logistikemissionen ca. 600.000 Tonnen CO₂. Wir können festhalten: Es gibt Optimierungsbedarf, aber auch viele Chancen, etwas zu verbessern. Wie geht Holcim die Sache an? Thorsten Hahn nennt zwei prägnante Sätze. „Wir müssen mehr, mit weniger Bauen“ und „Aus Beton muss wieder Beton werden“. Die Nachfrage nach Baustoffen wird nicht nachlassen. Es gibt also nur die zwei Wege „effizienter, ressourcenschonender Bauen“ und den „Weg zur Kreislaufwirtschaft“ kontinuierlich beschreiten. Dieses Umdenken muss bei allen Beteiligten vom Endkunden, über die verschiedenen Akteure der Bau-Wertschöpfungskette bis hin zu den Regulatoren stattfinden

Die konkreten Ansatzpunkte: Von der Vision zur Realität

Der CO₂-Fußabdruck des Betons ist deshalb so groß, weil Zement enthalten ist und bei dessen Herstellung große Mengen CO₂ freigesetzt werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Industrien entstehen die Emissionen allerdings nicht nur durch die eingesetzten Brennstoffe, sondern sind zu rund zwei Dritteln prozessbedingt. Das heißt, das CO₂ entweicht aus dem gebrannten Gestein – dieser chemische Vorgang ist nicht emissionsfrei möglich, weshalb man von unvermeidbarem Ausstoß spricht. Durch Reduktion des sogenannten Portlandzementklinkeranteils, zum Beispiel durch Ersatzstoffe wie Hüttensand oder Flugasche, lässt sich die Ökobilanz bereits deutlich verbessern. Mit der ECOPlanet-Serie geht Holcim noch einen Schritt weiter – ohne Nachteile für die Anwender, wie Mathias Höppner von Holcim in Folge 2 erläutert. Erreicht wird dies durch einen hohen Anteil an Hüttensand und bis zu Nullemissionen für Sackzement durch ergänzende Kompensation der heute noch nicht vermeidbaren Emissionen. Im Bereich Beton geht Holcim mit der ECOPact-Serie einen ähnlichen Weg und schafft damit im Vergleich zu Standardbetonen (CEM1) CO₂-Einsparungen von bis zu 70 %.

Ein noch größerer Hebel kann das Thema Recycling sein. Ziel ist die Wiederverwertung bestehender Gebäudebestandteile. Entweder als Rohmaterial für die Klinkerproduktion oder noch besser als Zumahlstoff („Filler“) zu Zement. Beim Abbruch mineralischer Baustoffe und deren Überführung in einen Brecher („Zerkleinerungsmaschine“) entstehen grobe und feine Materialien. Die Wiederverwertung speziell dieser feinen Abbruchstoffe konnte bisher aufgrund bestehender Normen wenig bis gar nicht erfolgen. „Theoretisch lassen sich jedoch bis zu 20 % des Zements durch Feinmaterialien ersetzen“ berichtet Michael Scharpf – Leiter Nachhaltiges Bauen bei Holcim Deutschland. Im Kontext des enormen Gesamtverbrauchs kann dies ein Quantensprung sein. Auch der Produktionsprozess bietet spannende Innovationen zur Verwertung der entstehenden CO₂-Emissionen. Grundsätzlich ist hier über alle Werke hinweg der Ansatz, CO₂ einzufangen und weiter zu verwerten. Im Projekt Westküste100 in Schleswig-Holstein soll schon Ende dieses Jahrzehnts das aufgefangene  CO₂, für die chemische Industrie bereitgestellt und dadurch fossile Energieträger ersetzt werden. Die Investitionen für solche Projekte sind immens und bedürfen der Förderung durch EU, Bund und Länder.

Um das Credo “Mehr mit weniger bauen” zu realisieren, benötigt es innovative Baustoffe bzw. die intelligente Verwendung der bestehenden Baustoffe. Vor allem bei der eingesetzten Menge und der intelligenten Verknüpfung von Baustoffen hin zu Bausystemen gibt es deutliches Optimierungspotenzial, berichtet Siemon Liebl, Leiter Business Development bei Holcim Deutschland, in Folge 3 der Podcast-Serie. Klassischer Stahlbeton benötigt beispielsweise eine sehr massive Betondeckung, um dauerhaft gegen Umwelteinflüsse geschützt zu sein. Ein Beispiel, wie es besser geht, sind CPC-Betonelemente. Das sind Betonelemente mit vorgespannter Carbonbewehrung, die Material-Einsparungen von bis zu 80 Prozent ermöglichen und den CO₂-Fußabdruck des Bauteils um bis zu 75 Prozent reduzieren.

Mark Holberg, Leiter Transportbeton, erläutert in Folge 5, dass es pauschal keinen guten oder schlechten Baustoff gibt. Je nach Anwendungsfall kann im Einzelfall Holz, Lehm und natürlich auch Beton der beste Baustoff sein. Einen besonders wichtigen Hebel sieht er neben der Verbesserung der CO₂-Bilanz im sortenreinen Bauen. Das heißt, Baustoffe müssen nach dem Abriss auch wieder getrennt werden können, um sie wiederzuverwerten. Dieser Aspekt wird in der Förderung „klimafreundlichen Bauens“ derzeit noch wenig berücksichtigt.

Nicht zuletzt sind auch digitale Hilfsmittel bei der Gestaltung der Stadt der Zukunft nicht mehr wegzudenken, denn die Digitalisierung bietet unglaubliches Potenzial für die nachhaltigere Nutzung von Rohstoffen, weiß auch Oliver Queck, Leiter German Market von ORIS. ORIS ist eine digitale Plattform für Materialintelligenz im Straßenbau. Die Plattform ermöglicht Behörden, Ingenieurbüros, Bauunternehmen und Materiallieferanten, Straßenbauprojekte von Anfang an nachhaltig, wirtschaftlich und transparent zu planen. Dabei setzt ORIS das Thema Materialauswahl von der letzten Phase des Planungsprozesses an dessen Spitze. Neben dem Straßenbau kommt ORIS auch bereits im Gleisbau zum Einsatz. 

In den verschiedenen Folgen mit den Holcim Experten sind wir der Stadt der Zukunft immer weiter auf die Spur gekommen. Das Zielbild heißt Kreislaufwirtschaft. Dass die aktuelle, lineare Wirtschaft eine Sackgasse ist, verdeutlicht Michael Scharpf in Folge 6 an folgendem Beispiel. „Wenn man Deutschland wiegen und dann schauen würde, welche Materialien für Bau- und Produktion insgesamt verwendet werden, sind 90 % davon mineralische Baustoffe, davon 40 % Beton“. All diese Materialien müssen aus der Natur abgebaut werden. Der Materialverbrauch ist viel zu hoch. Es muss also bereits bei der Herstellung von Produkten gesichert sein, das diese wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden können. Hier kommt der Gedanke von Urban Mining ins Spiel, bei dem Städte die Rohstofflager der Zukunft sind.

Im Madaster-Netzwerk (kurz für Materialkataster), dem auch Holcim angehört, wird die gebaute Umwelt aus Materialien und Produkten digital erfasst. Der „Steinbruch von morgen“ wird bereits heute digital kartiert. Zukünftige Verwender wissen dann genau über Trennbarkeit, gebundenes CO₂ und Toxizität Bescheid. Auch Materialbörsen wie Concular leisten in diesem Rahmen einen Beitrag, zirkuläres Bauen voranzutreiben. Für den Bestand gibt es jedoch die Herausforderung, dass die Zusammensetzung der verbauten Materialien, die oft noch hervorragend nutzbar wären, nicht mehr nachvollziehbar sind. Etwa die Frage, welche Betone oder wie viel Stahl überhaupt enthalten sind. Dies führt dann häufig zum „Downcycling“ von Abbruchmaterial, etwa als Unterbau für Straßen. Insgesamt gibt es in diesem Bereich immer mehr Projekte – auch große „Flagship-Projekt“. Noch wichtiger ist Michael Scharpf und uns als der Hoefliche & der BAUstein jedoch, dass das Thema in die Breite kommt. Wir möchten Architekten und Bauherren dazu ermutigen, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und stehen dazu auch als Ansprechpartner zur Verfügung.

Abschließend kann festgehalten werden: Es passiert viel, es gibt aber auch noch viel zu tun. Umso ermutigender ist es zu sehen, dass den großen Herausforderungen unserer Zeit mit vielfältigen Lösungsansätzen begegnet wird und jeder seinen Teil dazu beitragen kann. Wer den Weg in die Stadt der Zukunft noch aus weiteren Perspektiven verfolgen oder detailliertere Informationen erhalten möchte, ist herzlich eingeladen, den Podcast der Hoefliche & der BAUstein zu abonnieren und uns auf allen Kanälen zu verfolgen.

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